Kapitel 7.
*“Es duftet nach Rosen”
Wie schmeckt oder duftet ein Leben, das aus dem neuen Bewusstsein heraus lebt, dass das Entscheidende ist zu geben? Wie riecht ein Leben, das sich der göttlichen Kraft und Liebe verbunden weiß?
Wer durch einen Rosengarten blühender Rosen wandelt und sich Zeit nimmt und an einzelnen Blüten verweilt, der nimmt ihren betörenden Duft wahr, schmeckt gleichsam den Duft von Blumen und Leben. Schon ein paar Schritte weiter auf der Bühne des Lebens atmen wir ein den üblichen Geruch von Straße, von Autoabgasen - und doch bleibt wie eine Kopie der Duft der Rosen erhalten, eine Duft - Erinnerung, die uns immer wieder in die Natur zieht, hin zu Blüten, die wir lieben, hin zu Rosen.
Dass die Natur uns wunderbare Düfte bereithält, ist nicht unbedingt überraschend. Die weitergehende Frage ist, ob das Leben insgesamt etwas mit Geschmack zu tun hat? Wie schmeckt das Leben bzw. wie schmeckt uns das Leben?
Kein geringerer als der Philosoph Sören Kierkegaard ( 1813-1855), der viel durch die Straßen der dänischen Hauptstadt flanierte, hat in seinem Werk “Die Wiederholung” seinen Geschmack bzw. Geruch des Lebens festhalten mit den Worten: “ Mein Leben ist zum Äußersten gebracht, ich ekle mich am Dasein, es ist geschmacklos, ohne Salz und Sinn…Man steckt den Finger in die Erde, um zu riechen, in welchem Land man ist, ich stecke den Finger ins Dasein-es riecht nach - Nichts.”( S. Kierkegaard, die Wiederholung, Frankfurt a.M. 1984, eva Bd.22, S.62). Scheinbar erlebt der Schriftsteller und Philosoph das Leben als fad und ohne Ziel, mit Problemen behaftet ohne die Lösung in Sicht, mit der Verliebten verlobt und gleichzeitig die Verlobung lösend, fromm, doch mit der dänischen Kirche im Streit - diese einzelnen Situationen bringen ihn an den Punkt, entscheiden zu müssen: entweder- oder.
Die Existenz, so Kierkegaard, ist immer ein Leben, das einen vor Entscheidungen stellt. Ein Leben im “Sowohl-Als Auch” erlebt er als salz- und geschmacklos. Nachdem er sich für eine Lebensform nach vielem Hin und Her und inneren Kämpfen entschieden hat - für Kierkegaard ein Leben im Glauben gegen das bürgerliche Leben mit Verlobung usw. - erlebt er echte Freiheit, gesteht am Ende: “Ich bin wieder ich selbst…; ich verstehe alles, und das Dasein kommt mir schöner vor als jemals”. ( s.o. S.76) Nun schmeckt ihm das Leben wieder. Diese Entscheidungssituationen, die aufkommen, wenn das Leben nicht so dahinplätschern soll wie ein langweiliger, fader Bach, fordern uns Menschen heraus zu prüfen, welches Leben wir leben wollen. Es ist die Frage nach Sinn und Ziel.
In vierten und letzten Teil seines “Also sprach Zarathustra” lässt Nietzsche den Zarathustra wie einen Weisen erkennen: “Eine Mitternachtsglocke? Ein Tropfen Taus? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hört ihr’s nicht? Riecht ihr’s nicht? Eben war meine Welt vollkommen, Mitternacht ist auch Mittag,- Schmerz ist auch Lust, Fluch ist auch Segen, Nacht ist auch wie die Sonne-geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr. Sagt ihr jeweils ja zu einer Lust? Oh meine Freunde, so saget ihr ja auch ja zu allem Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt…”(Nietzsche, Also sprach Zarathustra, München 1980, Bd.3, S.556/557). Der Duft der Ewigkeit scheint bei Nietzsche mit der Erkenntnis der Bipolarität verbunden, die mahnende Glocke der Ewigkeit erinnert daran, dass Lust und Schmerz, Liebe und Hass, Mitternacht und Mittag, Licht und Dunkel verkettet sind, und dass der Mensch dieses zu lernen hat. Wer versteht, das Leben auf diese Weise zu schmecken und zu riechen, der lebt, der hat sich auf den Duft von Leben und Lebendigkeit eingestellt.
Der Kabbalist Baruch Ashlag vermutet, dass wir Menschen zunächst keinen Geschmack für die Ewigkeit, für den Schöpfer haben. Wir konsumieren, suchen unser Glück in angebotenen Vergnügungen, leben von einem “immer mehr haben wollen”, koste es, was es wolle, bis es fad wird. Dann suchen wir unser Glück wieder woanders - immer auf der Suche nach dem, was uns weiterbringt und uns Ansehen verschafft. Viele Menschen spüren heute, dass dieses Leben mit seinen Steigerungen die Lebendigkeit verliert - und dass sie dann des Lebens überdrüssig werden. Das ist kein Duft mehr von Leben, es riecht nach nichts, nur noch langweilig und fad. Und, so Baruch Ashlag, wenn wir Menschen an diesen Vergnügungen keinen Geschmack mehr finden, weil sie nicht wirklich zufrieden machen, dann beginnt unsere Suche nach einem Geschmack, echte Freude zu finden und Zufriedenheit, und entwickeln ein Verlangen. nicht mehr zu fragen, was mir nützt, sondern wie ich dem anderen nützen kann. (Rabash Notiz Nr. 587).
Den Duft von Leben wieder neu finden - da hilft ein Blick in den Heiligen Sohar, einem Grundwerk für die Kabbala, mit seinem wunderschönen Bild von den zwei Rosen: “Rabbi Chiskija begann: “Es heißt, wie die Rose unter Dornen (Hohelied 2,2)…”Was stellt eine Rose dar?” Er antwortet: “Es ist die Versammlung Israels…Denn es gibt eine Rose und es gibt eine Rose….” (Der Sohar, Anmerkungen zum Ashlag-Kommentar, Dr.M. Laitman, Toronto, deutsche Übertragung 2024, S.40). Dr. M. Laitman weist in seiner Deutung dieser Textstelle darauf hin, dass es u.a. bei den beiden Rosen …”um zwei entgegengesetzte Zustände (geht): Vollkommenheit und Unvollkommenheit, Licht und Dunkelheit. Sie werden von demjenigen empfunden, der ihrer würdig ist” (S. 56).
Die zwei Rosen sind also zwei entgegengesetzte Zustände, die als Einheit empfunden werden können und darin den Geschmack der Ewigkeit ausmachen. Denn in beiden Zuständen ist für den Menschen die schöpferische Kraft zu spüren, die Einheit, aus der alle Zustände kommen, die in ihrer Gegensätzlichkeit von uns Menschen wahrgenommen werden. Der herrliche, blumige Duft zieht uns an, ob die Rose als zwei Rosen das Vollkommene oder Unvollkommene, Licht oder Dunkelheit symbolisiert. Für uns Menschen ist entscheidend, und darin sind wir würdig, dass wir es lernen, dass auch im Zustand, der uns weh tut und der unser Leben als dunkel erscheinen lässt, der gute Duft der Rosen bleibt und zu “riechen” ist.
In diesem Sinn entspringen die beiden “Rosen” einer schöpferischen Einheit. Je mehr wir an unserer Unvollkommenheit leiden, ja überhaupt leiden, desto stärker weht der Duft der Vollkommenheit uns an und vermittelt uns den Geschmack der Ewigkeit - und damit verbunden ist immer eine Begeisterung für das Leben und tiefe Freude, dass wir etwas weitergeben von dem, was wir empfangen haben. Von einem faden Geschmack oder Überdruss am Leben kann da keine Rede mehr sein.
Schlussbetrachtung
Beim Schreiben über das Bewusstsein ist uns selbst der Prozess bewusst geworden, durch den wir die Welt erfahren und verstehen. Es handelt sich um ein komplexes Zusammenspiel von Wahrnehmung, Denken, Bewusstsein, Gedächtnis und Emotionen. Unsere Verhaltensmuster und die Resonanz mit unserer Umwelt beeinflussen, was wir wahrnehmen und wie wir es interpretieren. Durch das Bewusstsein entsteht der Raum, in dem wir uns selbst und unsere Erfahrungen reflektieren und vertiefen können. Diese Reflexion bildet die Grundlage für unser Selbstbewusstsein. Neue Erfahrungen setzen innere Erkenntnisprozesse in Gang. Dabei haben wir die Möglichkeit, diese Erfahrungen zu deuten und wiederum unsere Wahrnehmung von Zeit, Raum und Bedeutung stetig zu erweitern.
Wie sich gezeigt hat, spielt dabei das Denken eine wichtige Rolle. Denn die wahrgenommenen Informationen werden vom Denken strukturiert, interpretiert und bewertet. Denken dient somit als eine Art “innerer Übersetzer”, der versucht, das Wahrgenommene in ein kohärentes Verständnis zu bringen und es in Bezug zu vorherigen Erfahrungen und erlerntem Wissen zu setzen. Dadurch entsteht ein “inneres Modell” der Realität, das uns Orientierung gibt und auf dessen Grundlage wir handeln können.
Unser Bewusstsein schafft in diesem Prozess den „Raum“, in dem Wahrnehmung, Denken und Erfahrung integriert werden. Bewusstsein erlaubt uns, Informationen nicht nur zu verarbeiten, sondern uns auch selbst als Teil dieses Prozesses wahrzunehmen. Es ist dieser bewusste Raum, der uns ermöglicht, aus der unmittelbaren Erfahrung herauszutreten und diese Erkenntnisse zu reflektieren, bevor wir sie nach außen kommunizieren.
Das Gedächtnis wiederum speichert schließlich die Ergebnisse dieser bewussten Prozesse. Es bewahrt die interpretierte Information und die daraus gewonnenen Erkenntnisse als Teil unseres Selbstverständnisses auf und ermöglicht es, in zukünftigen Situationen darauf zurückzugreifen. Die gespeicherten Erinnerungen sind jedoch nicht statisch; sie werden ständig neu bewertet und rekonstruiert, insbesondere durch die Linse neuer Erfahrungen und Einsichten, wie auch durch Einsichten in Wahrheiten, die unseren Verstand übersteigen, z.B. in aller Verschiedenheit die Einheit spüren und zu erkennen, die wir als schöpferische Einheit im Glauben beschrieben haben.
Unser Verhaltensmuster beeinflusst unser Bewusstsein, wie auch umgekehrt unser Bewusstsein Einfluss auf unser Verhalten und unsere Umgebung hat. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, wie differenziert wir unsere Wahrnehmungen in Sprache und Begriffe fassen. Und die Frage ist dabei auch, ob wir all unsere Erfahrungen überhaupt angemessen in Sprache übersetzen und ausdrücken können, besonders wenn es sich um Erfahrungen handelt, die über unserem Verstand liegen.
Nur durch gezielte und bewusste Auseinandersetzung mit uns selbst und der Welt im Dialog mit anderen, im Diskurs mit anderen Sichtweisen, erweitern wir unser Bewusstsein, und daraus entwickelt sich ein neues Selbstbewusstsein.
Was hier sehr allgemein zusammengefasst ist, lässt sich konkret in einer Gruppe erleben. Eine Voraussetzung ist, dass die Gruppe eine Größe von 10 Teilnehmern oder Teilnehmerinnen hat - Zehn wegen der Gruppendynamik. Alle in der Gruppe sind verschieden, wie ihre Gesichter verschieden sind, aber alle haben die gleiche Absicht: alle wollen ihr Bewusstsein ändern und auf ein gemeinsames Ziel hin ausrichten.
Sie lernen dabei, sich auf eine Höhere Kraft auszurichten mit Methoden, das eigene Ego zu korrigieren und sich zu verbinden. Sie empfinden in dieser Arbeit allerdings zunehmend Mangel, dass sie es aus sich heraus nicht schaffen, jedenfalls nicht allein. Sie spüren ihre Unfähigkeit und dass ihr Ego-Verlangen doch sehr groß ist. In dem gemeinsamen Prozess mit den Freunden entstehen neue Kräfte.
Das Bewusstsein nimmt wahr, dass in dieser Umgebung mit Freunden, die miteinander spirituelle, kabbalistische Texte lesen, ein neuer Geist einzieht, der wiederum Einfluss hat auf die Gedanken, Empfindungen und auch Handlungen. Und so unterschiedlich die Einzelnen sind, sie verstehen sich als eine Einheit und verbunden. Alle in der Gruppe wissen, dass sie die besonderen Momente, die sie mit Freude erfüllen, nicht herstellen oder über sie verfügen können, wie man auch Liebe nicht herstellen kann.
Sie geschieht. Aber jeder kann sich einüben in die Haltung, aus einem Mangel heraus, weil etwas nicht vorhanden ist, zu fragen, warum er es braucht, warum das Bewusstsein will, dass er es hat. Und er wird in diesem Prozess entdecken, dass er, wenn er sein Bewusstsein auf Geben einstellt statt Haben und Empfangen, dankbarer und zufriedener das Leben genießen kann. Das verändert Schritt für Schritt oder in Stufen das Bewusstsein.
Dieser Prozess im eigenen Bewusstsein, so unsere Erfahrung, verändert auch unsere Wahrnehmung von Zeit und Raum: Zeit wird dann nicht mehr nur als Abfolge von Momenten erlebt, sondern wird zum bewussten, besonderen Moment im inneren Raum, ein Moment, den wir, wie oben beschrieben, weder herstellen noch verfügen können. Es entsteht zwischen dem Ich und den Anderen eine Verbindung in Form von Be-Geist-erung und Freude und man erlebt diese Augenblicke als erfüllte Momente. Und man wird den Eindruck nicht los, dass in solchen Momenten gemeinsamen Dialogs zwischen Ich und Du ein Sinnhorizont sich öffnet und das Bewusstsein voller Vertrauen wahrnimmt: nicht ich, w i r sind aufgehoben in einem großen Ganzen. Ein Bewusstsein kann sich nicht bewusst sein ohne das Bewusstsein von anderen.
Dankbar nehmen wir diese Erfahrung in unser Bewusstsein auf!