Einleitung
Wer schon einmal das Modell eines menschlichen Gehirns in Händen gehalten hat, der kommt aus dem Staunen nicht heraus: Wie ist es möglich, dass sich in diesem kleinen Körperteil alles sammelt, was Tag für Tag und Stunde für Stunde über die Sinne aufgenommen wird. Sich dazu vorzustellen, dass ein Pool an Wissen entsteht mit immer neuen Informationen und dass diese Informationen gleichzeitig mit Emotionen verbunden werden, “aufgeladene” Informationen, die uns entscheiden lassen, was wir gut finden und was nicht. Da sind Zentren auszumachen, eines für Sprechen und Sprache, ein anderes, das den Bewegungsablauf koordiniert usw., unzählbar verschaltet und vernetzt. Und das alles zusammengefasst in einem Bewusstsein, das der einzelne Mensch als s e i n Bewusstsein wahrnimmt und “Ich” sagen kann. Bis heute ist die Frage nicht zu lösen, ob das “Ich” als geistig-mentaler Prozess zu verstehen ist oder ob das “Ich” im materiellen Verständnis der Neurobiologie aufgeht und funktioniert wie ein Computer. Unser Gehirn bleibt ein Geheimnis und kann als Wunderwerk, mit dem wir uns auf der Bühne des Lebens bewegen, bezeichnet werden.
Uns haben zwei Grundfragen bewegt: 1. Was ist das, was wir “Bewusstsein” nennen? 2. Ist unser Bewusstsein in der Lage, sich auf “Höhere Welten”, das Göttliche, einzulassen, mit der Folge, dass sich das Leben hier ändert?
Wir sind keine Wissenschaftler und keine Philosophen. Wir haben uns philosophische Lektüre vorgenommen, aber auch Anleihen aus der Wissenschaft der Kabbala genommen - ein Feld, in dem wir selbst Erfahrungen machen. Wir wollen mit unserer Arbeit einen Anstoß geben, mutig eine Brücke zu betreten, die uns hin zu neuen Ufern führt. Vielleicht ist dieser neue Weg die einzige Möglichkeit, die Welt, die Menschheit, das Göttliche als eine Einheit zu sehen, trotz aller Verschiedenartigkeit der Menschen, jeder mit seinem individuellen Gesicht, seinen Gedanken und seinen Erfahrungen. Es geht uns um Einheit in aller Verschiedenheit.
In Kapitel 1 versuchen wir an Beispielen die Quellen zu beschreiben, die unser Bewusstsein füllen. Im 2. Kapitel geht es um den Prozess in uns, wie unser Bewusstsein unseren Tag und unser Leben strukturiert, um dann im folgenden Kapitel zu zeigen, dass die Struktur jederzeit unterbrochen werden kann durch die Möglichkeit, unsere Gedanken spielen zu lassen und uns in der Phantasie Dinge vorzustellen, die den Rahmen unseres Verstandes sprengen und damit unser Gewohntes übersteigen (Kp.3). Die folgenden zwei Kapitel wollen zeigen, wie anfällig unser Verstand ist, wenn es um die eigenen Vorteile geht (Kp.4) und wie hilfreich es sein kann, den Glauben nicht gegen den Verstand auszuspielen, sondern was es bedeutet, über dem Verstand zu glauben (Kp.5). Der Glaube wird hier nicht verstanden als dogmatisches Wissen, auch nicht als abstrakte religiöse Idee, sondern als Vertrauen in die lebendige Schöpfermacht, die uns Menschen als Einheit verbindet, und sich in der Praxis bewahrheitet: als Aufbruch, als Exodus aus dem gewohnten “Empfangen-Leben” hin zu einem Zustand, in dem sich das Herz öffnet - verbunden mit den anderen. Lust, Freude und Genuss sind dabei die sinnlichen Kennzeichen, die den neuen Weg schmackhaft machen, wobei unsere menschliche Lust in einen neuen Zusammenhalt gestellt wird im Verhältnis von Lust und Ewigkeit (Kp.6). Vielleicht ist es für unser Alltagsbewusstsein eine Zumutung, die Ewigkeit zu schmecken bzw. überhaupt über den Geschmack der Ewigkeit nachzusinnen. Da aber unser menschlicher Verstand die Ewigkeit nicht fassen kann, bleibt ihm das Spüren und Schmecken (Kp.7). Die Rose als Symbol mag unser Bewusstsein anregen und den Duft des neuen Weges erahnen lassen.
Es war uns eine Freude, gemeinsam zu schreiben. Wir hoffen, dass sich die Freude überträgt. Man muss in diesen Fragen des Glaubens und Lebens nicht einer Meinung sein - aber das Gemeinsame zu spüren, das ist, wie gemeinsam zu atmen und zu wissen: Wir sind verbunden.
Kapitel 1.
Das Menschenkind betritt die Bühne des Lebens unscheinbar, fast unbemerkt, jedoch mit lautem Geschrei. Es ist kein Auftritt, eher ein Hineingleiten aus einer geschützten Höhle in einen großen, kalten Raum. Die elterliche Nähe und Liebe lässt das kleine Wesen in dieses Leben hineinwachsen und macht ihm die Welt vertraut. Diese frühkindlichen Situationen sind allerdings sehr verschieden und werden von den Kindern auch sehr unterschiedlich erlebt und aufgenommen.
Später werden die Freundinnen und Freunde wichtig, und nichts ist so schön, wie die Zeit mit ihnen zu verbringen und zu spielen. Stundenlang in Erwachsenen-Rollen zu schlüpfen, als Tänzerinnen auftreten, das Leben der Großen zu spielen. So zu tun, als ob man schon erwachsen sei. Die Eltern hantieren mit einem Gerät, das wohl sehr wichtig sein muss, - sie nennen es Handy - also wollen auch die Kinder ein solches haben. Kleine Kinder nehmen sich besonders wichtig, wenn sie das Handy benutzen wie ihre Eltern und ahmen sie bzw. ihre Lebensform dabei nach. Später gehört das Smartphone dazu wie ein Körperteil. Mit den Freunden und Freundinnen kommt auch Neid auf: die anderen Kinder dürfen länger aufbleiben, ihre Eltern haben einen ganz besonderen SUV und fliegen in den Ferien in ferne Länder. Da ist das unhörbare "Ich darf nicht, aber alle anderen dürfen alles”.
Nach vier Schuljahren werden die Kinder getrennt, weil eine Mehrheit eine Höhere Schule besucht. Bis dahin erleben sie Druck, weil ihre Eltern wollen, dass ihre Kinder auf das Gymnasium gehen- und wieder die innere Stimme: “Was ist, wenn ich nicht mitkomme, wenn ich versage”. Angst kommt auf wie ein Gespenst. Manche Kinder würden gerne noch Zeit haben zu spielen, aber Lernen hat Vorrang. Und wie kommen sich Kinder vor, die zurückbleiben auf der Hauptschule - welchen Namen man immer für diese Schulart wählt. Sie sind die Zurückgebliebenen, tun sich schwer mit dem Lernen, getrennt von den anderen und abgehängt. Erfahrungen mit Trennungen, Krankheit und auch Sterben und Tod bei Tieren und lieben Angehörigen spielen im Kindes- und Jugendalter eine große Rolle. Nicht zu vergessen heute die Begegnungen mit Religionen und Konfessionen, die Bilder aus den Medien von Grausamkeiten und Gewalt, die auf die Kinderherzen einströmen.
Fernsehserien werden wichtig, die im Jugendalter aufgesaugt werden. Keine darf versäumt werden. Und so weiter und so weiter.
Die Jahre fliegen vorbei, Hobbies, Sport, Schulabschluss, Lehre oder Studium, erste Berufsjahre, erste Liebe, Ehe, Kinder, Scheitern der Ehe, Krankheiten, Unfälle.
Was hat sich nicht alles in dieser Entwicklung vom Kind über die Jugendzeit hinweg ins Erwachsenenalter eingeprägt und eingebürgert in das Bewusstsein! Jeder hat seine Erfahrungen, Prägungen, seine Erzählungen und Bilder vom Leben und bewegt sich entsprechend auf dieser Bühne. Jeder Mann und jede Frau hat ein eigenes Bewusstsein entwickelt von sich, den anderen, der Welt und steht dabei immer im Vergleich mit den anderen. Oft ist es schwer auszuhalten, dass andere anders denken, sich anders verhalten, aus anderen Ländern kommen und eine andere Sprache sprechen. Sie, die anderen, haben jeweils i h r Bewusstsein.
Dieses Bewusstsein, an das sich der Mensch im Laufe seines Lebens gewöhnt hat, gibt ihm das Gefühl, dass er im Vergleich zu den anderen doch ein gutes Leben führt und weiß, was Sache ist. Man hat sich bei sich selbst eingerichtet und fühlt sich in seinem Bewusstsein ganz wohl. Der Vergleich mit den Nachbarn schafft immer noch Neid, aber man tut so, als ob einen das nichts ausmacht. Und es hebt das eigene Bewusstsein, Fehler bei den Mitmenschen zu finden. Das Bewusstsein lässt es oft nicht zu, sich eigene Fehler einzugestehen.
Es sieht so aus, als ob auf der Bühne des Lebens lauter Individuen sich bewegen mit je ihrem Bewusstsein von sich und anderen. Interessant ist, dass wir nicht in das Bewusstsein von anderen hineinsteigen können, es bleibt immer das eigene Bewusstsein. Wenn aber jeder sein eigenes Bewusstsein hat, gibt es dann keine Gemeinsamkeiten, die eine Chance bieten, dass wir Menschen besser miteinander auskommen und kommunizieren? Liegt es am Bewusstsein, dass wir uns so schwer tun mit Veränderungen? Wenn ein Mensch aus einer Narkose aufwacht, ist zu hören: “Er ist wieder bei Bewusstsein!” Und bei einem Unfall ist zu hören: “Sie war bewusstlos”. Hat das Bewusstsein mit unserem Wachzustand zu tun?
Manche Menschen kommen an einen Punkt in ihrem Leben, in dem das Bewusstsein blockiert wird. Sie sind wach, gehen ihrer Arbeit nach, verrichten wie gewohnt ihre Aufgaben, werden aber geplagt von der Frage, ob das alles, was sich auf der Lebensbühne abspielt, noch einen Sinn hat? Was ist überhaupt der Sinn des Lebens? Will ich so weiterleben? Aus der Tiefe des Bewusstseins drängen sich solche Fragen auf, und es ist dann, als wollte man das Bewusstsein wie einen Computer herunterfahren und neu laden. Aber kommen dann nicht wieder dieselben Daten, Erinnerungen, Bilder? Kann man sein Bewusstsein ändern und welche Folgen hat das? Habe ich überhaupt einen Zugang zu meinem Bewusstsein oder wird das Bewusstsein gesteuert, und wenn ja, wodurch?
Wenn es um uns Menschen geht, gerade auch in unseren kritischen Situationen, scheint es doch sehr wichtig zu sein, dass wir auf unserer Bühne des Lebens wach sind und uns mit unserem Bewusstsein beschäftigen. Nicht dass wir am Ende bewusstlos die Bühne verlassen - und haben nie wahrgenommen, was wirklich in uns, in unserem Bewusstsein steckt und was unser menschliches Bewusstsein ausmacht.
Einige wichtige Aspekte unseres Bewusstseins werden im folgenden Abschnitt unter dem Titel “Bewusstseinskino” beschrieben.
Kapitel 2. Unser Bewusstsein
Das “Bewusstseinskino”
Nicht alles, was wir wahrnehmen und was Eindrücke in uns hinterlässt, ist uns präsent und bewusst. Es ist, als existiert ein Filter, der nur einen Teil aller Eindrücke und Vorgänge ins Bewusstsein hineinlässt.
Der “Film” beginnt am Morgen: Wir wachen morgens auf, und unser Bewusstsein richtet sich auf den Tag ein: den Wecker ausschalten, der uns ins Bewusstsein geholt hat: “ich bin wach”. Plötzlich schießen Gedanken vom vorhergehenden Tag ins Bewusstsein, die eindrückliche Begegnung mit einem vertrauten Menschen, das tiefe Gespräch, das schöne gemeinsam besuchte Konzert - und dann, es wird höchste Zeit, aufstehen, ins Bad, duschen. Eine kurze kalte Dusche hilft, ganz wach zu werden. Beim Zähneputzen richtet sich das Bewusstsein heute auf die bevorstehende, unangenehme Begegnung mit dem Chef. Das Morgenprogramm im Radio bringt aktuelle Nachrichten, es soll wieder wärmer werden, so der Wetterbericht, und dann die Staumeldungen auf dem Weg zur Arbeit. Schnell noch einen Kaffee. “Ich muss los”. Das Bewusstsein hilft offensichtlich, den Tag zu strukturieren und sich auf den Tag einzustellen, auf die Arbeit, die Gespräche, die Freizeitaktivitäten. Dass dabei der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle spielt und auch der Raum und die Bewegung im Raum, das zeigt sich bereits an dieser morgendlichen Alltagserfahrung. Von dem Philosophen Kant wissen wir, dass Raum und Zeit Anschauungsformen des Bewusstseins sind, oder, wie der Philosoph Markus Gabriel so treffend schreibt, “Raum und Zeit…sind lediglich der Rahmen unseres menschlichen Bewusstseinskinos, sie gehören zu unserem Betriebssystem und nicht zur Wirklichkeit ‘da draußen’ “. (Gabriel, Ich ist nicht Gehirn, 1.Aufl. Berlin, 2017, S. 88).
In dem Augenblick, wo wir über Raum und Zeit nachdenken, sind wir bei wachem Bewusstsein.
Die Zeit spielt in unserem Leben eine entscheidende Rolle, denn sie ist die Form, in der wir die Abfolge von Ereignissen wahrnehmen – sowohl in uns selbst als auch in der Außenwelt. Alles, was wir innerlich erleben, wie Gedanken, Gefühle und Erinnerungen, scheint in einer zeitlichen Abfolge stattzufinden. Ohne die Zeit würden wir die Veränderung und das Vergehen innerer Zustände nicht wahrnehmen und begreifen können. Zeit hilft zu verstehen, was vorher war, was jetzt geschieht und was möglicherweise in der Zukunft passieren wird. Sie gibt unserem Bewusstsein Struktur und Orientierung.
So auch der Raum: er ist die Form, in der wir die äußere Welt wahrnehmen. Alles, was außerhalb von uns existiert, nehmen wir räumlich wahr: die Dinge in ihrer Positionen, Größe und Entfernung zueinander. Raum ist also die Grundlage unserer Erfahrung von Koexistenz – ohne die räumliche Anschauung könnten wir die Anordnung und Bewegung der Dinge nicht verstehen. Der Raum vermittelt das Gefühl, in einer Welt zu leben, in der alles seinen Platz hat und in Beziehung zu uns steht.
In unserem menschlichen Bewusstsein treffen unter den Bedingungen von Raum und Zeit Wahrnehmungen ein, die wir mit unserem Verstand, unserer geistigen Auseinandersetzung deuten, verarbeiten, uns Bilder machen von dem, was wir erleben bzw. erlebt und erfahren haben. Mit diesen inneren subjektiven Bildern betrachten wir unsere Wirklichkeit. Unser Bewusstsein scheint auch eine Vorstellungs-bzw. Bilderproduktionsmaschine zu sein. Die geistige Auseinandersetzung mit dem Wahrgenommenen hat wiederum Folgen für unser Handeln: wenn wir uns ein Bild gemacht haben von einem anderen Menschen, dann behaupten wir: dieser Mensch ist schwierig, mit dem wollen wir nichts zu tun haben. Oder: einer grüßt immer so freundlich, mit dem würden wir uns gerne mal unterhalten. Das Bild, das wir uns von anderen Menschen machen, und dass sich unserem Bewusstsein eingeprägt hat, ist u.a. auch die Ursache, dass wir von Menschen Abstand nehmen und trennen oder uns gerne mit ihnen verbinden.
Ohne Sprache und Begriffe wäre es uns nicht möglich, die Dinge in unserem Denken zu ordnen, die richtigen Schlüsse zu ziehen, um Vorgänge zu analysieren, zu erklären, weiterzugeben.
Bei all dem, was unser Bewusstsein bereithält an Begriffen, Bildern und Informationen, Einsichten, Wünschen, Gefühlen und Emotionen, damit wir erkennen und angemessen handeln und reagieren können, gehört auch das Wissen um unsere Grenzen: wir können uns täuschen. Wir sehen nie das Ganze. Bekannt ist das Beispiel vom Autounfall: drei Zeugen und drei unterschiedliche Aussagen, und jeder behauptet, er habe es genau gesehen.
Zusammenfassung
Im “Bewusstseinskino” finden also sehr komplexe Vorgänge statt, die notwendig sind, um sich selbst und andere auf der Bühne des Lebens bewusst wahrzunehmen und sich zu orientieren. Jeder Mensch hat sein eigenes “Kino”, seine eigenen Bilder und Filme und nimmt sie auch als sein “Kino” wahr, das zu ihm gehört, zu seinem Ich, zu seinem Bewusstsein - eine Ansicht, die bereits der französische Philosoph Rene Descartes auf den Punkt gebracht hat: Cogito - ergo sum - ich denke, also bin ich. Das denkende Bewusstsein kann sich in allem, was es wahrnimmt, täuschen und getäuscht werden - aber allein, dass es dem Menschen möglich ist, dieses zu denken, beweist, dass er existiert.